A. Warm up
Montagabend 18:34 Uhr, 21 Grad, meist sonnig. Die letzten 10, …, noch 5, …, 3, 2, 1, ein Jingle, vorbei. Die Lunge brennt, Oberschenkel zittern, der Blick auf die Uhr, Puls 174, Trainingszeit 35 min. Noch außer Atem wische ich die Anzeige auf meinem Fitness-Armband nach rechts und erkläre das Training für beendet. Auf dem Display erscheint die Zusammenfassung meines Trainings, ein kurzer Check meiner Daten, sehr gut. Ich klicke auf „fertig“ und schon schließen sich funkensprühend die bunten Ringe „Du hast deine täglichen Aktivitätsziele erreicht!“. Soll erfüllt. Ein Gefühl der Genugtuung macht sich breit, Freude, Zufriedenheit. Ich packe meine Sachen und verlasse das Stadion.
B. Work out
Situationen wie diese erleben wohl viele Self-Tracker*innen täglich, denn längst ist die Praxis des Self-Trackings nicht mehr nur Leistungskontrolle für Spitzensportler*innen. Das Vermessen und Aufzeichnen aller nur erdenklichen Daten unseres Selbst, sei es die Dauer und Qualität unseres Schlafes, die Regelmäßigkeit des weiblichen Zyklus, die gegessenen Kalorien oder die Distanz der gelaufenen Strecke, ist für viele Menschen fester Bestandteil ihres Alltags (vgl. Duttweiler/ Passoth 2016: 10). Mit allerlei Gadgets, Apps und Technologien ist es heute ein Leichtes, körperbezogene Daten zu erfassen, zu speichern und für alle, die es wollen, in sozialen Netzwerken zu teilen. Gerade in der Fitnessbranche erscheinen fast monatlich neue Modelle von sogenannten Fitness-Trackern – Uhren oder Armbänder mit Sensoren, die sämtliche Daten hinsichtlich Fitness und Gesundheit aufzeichnen und die Verbraucher*innen für einen bewussten, gesunden Lifestyle sensibilisieren und motivieren sollen.
Im Kontext meiner Forschung bin ich der Frage nachgegangen, auf welche Weise sich die Praktiken des Self-Trackings mittels digitaler Fitnessuhren auf ihre Nutzer*innen auswirken und welche Handlungen – beziehungsweise Affordanzen – durch die Fitnessuhr herbeigeführt werden. Hierzu habe ich beispielhaft einige Träger*innen solcher Fitness-Tracker zu ihrem Verhalten bezüglich des Self-Trackings befragt, sowie teilnehmende Beobachtungen durchgeführt.
Die Magie der Graphen
In einem Punkt waren sich alle Befragten einig: „Ja, motivieren tut sie mich“. Doch was macht das Aufzeichnen sämtlicher Körperdaten für einige von uns so interessant? Ein Anreiz hierfür könnte sein, dass das Self-Tracking als Visualisierungspraktik Dinge (z.B. Leistungen) sichtbar macht, die vorher noch nicht sichtbar waren. Bekannt ist auch, dass Daten in Form von Graphen, Statistiken und Diagrammen für die meisten Menschen eine vermeintlich wissenschaftliche Abbildung der Realität darstellen und bewegte Graphen offenbar eine Art Faszination hervorrufen (vgl. Duttweiler/Passoth 2016: 12). Denn zum einen verweisen Kurven und Tabellen auf wissenschaftliches Arbeiten, zum anderen untermauern Bilder und Grafiken eine wissenschaftliche Datenlange, welche somit nicht hinterfragt werden muss (vgl. Duttweiler/Passoth 2016: 12f). Darüber hinaus erhoffen sich die Selftracker*innen mittels Daten und Zahlen ein objektives Bild ihrer selbst herstellen zu können, da die Zahlen zeigen wie sie „wirklich“ sind (vgl. Unternährer 2016: 203).
Diese Attraktivität der wissenschaftlich und graphisch dargestellten Datenerhebung machen sich die meisten Gadgets zu Nutze. So bedient sich etwa die Apple Watch an dynamisch animierten Kreisdiagrammen, welche, gekennzeichnet durch unterschiedliche Farben, die tägliche Aktivität ihrer Träger*innen nachvollziehen lassen.
Wem das nicht ausreicht, findet in der Health App weitere Diagramme verschiedenster personalisierter Körperwerte. Alle Daten werden in unterschiedlichen Diagrammarten für die Nutzer*innen visualisiert und je nach Auswahl auf den Tag, die Woche, den Monat oder das Jahr dargestellt und verglichen. Überdies informiert Apple die Verbraucher*innen über jeden Messwert und dessen Bedeutung in einem kurzen Absatz unter der Grafik.
Tatsächlich steht jedoch für beinahe alle der befragten Personen das Schließen und vor allem das Kontrollieren der obenerwähnten Aktivitätsringe im Vordergrund. Auf die Frage, was sie wohl am häufigsten dazu veranlasse auf die Uhr zu blicken, antwortet eine Interviewpartnerin:
„Ja, ob ich meine Bewegungsringe schon voll hab. [lacht]“
(A.S., Apple Watch)
Bei allen Interviewpartner*innen zeigte sich alsbald, dass die Aktivitätsringe der Apple Watch der Richtwert für die tägliche Bewegung und insbesondere das „gute Gewissen“ war. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich allerdings, neben dem bloßen Kontrollieren dieser Statistik, weitere Verhaltensweisen, welche durch die Uhr herbeigeführt werden.
Dein Wille sei mir Befehl
Wo die klassische Armbanduhr einst dazu diente uns über die Zeit und vielleicht noch das aktuelle Datum zu informieren, haben Fitness-Tracker heute bei weitem mehr in petto und rufen uns überdies zu ganz bestimmten Handlungen auf. Zu nennen ist an dieser Stelle zunächst der Wille zum täglichen Tragen der Fitness-Uhr. Bei einem Großteil meiner Interviewpartner*innen stellte sich heraus, dass es den meisten überaus wichtig war, den Fitness-Tracker tagsüber zu tragen. Zum einen garantiert die Uhr sowohl Erreichbarkeit als auch – und das ganz besonders – das Aufzeichnen der Bewegungsdaten. Denn nur wenn die Uhr getragen wird, können die Aktivitäten ihrer Nutzer*innen aufgezeichnet und dadurch sichtbar gemacht werden.
„(…)Weißt du, am liebsten würde man ja dann gar nicht zum Laufen gehen, weil man die Uhr nicht dabei hat, das die nicht aufzeichnet, dann weiß die Uhr ja gar nicht, dass ich was gemacht habe.“
(P.H., Apple Watch)
Ein anderer Interviewpartner äußerte sich zum Vergessen der Uhr folgendermaßen:
„Also ich muss sagen, so wirklich ärgern tut’s mich nicht [wenn ich die Uhr nicht trage] und demotivieren tut es mich auch nicht, aber wenn man die halt an hat und mal drauf schaut, was man so alles gemacht hat über den Tag, wie viel Kalorien man verbraucht hat oder wie viele Schritte man gegangen ist, dann ist das irgendwo schon motivierend.“
(A.K., Xiaomi Mi Band)
Entlang dieser Einschätzungen wird ersichtlich, dass die Uhr bewusst und aktiv getragen wird, damit Bewegungsdaten aufgezeichnet werden können. Demnach ist also die Fähigkeit der Uhr, Daten zu ermitteln, aufzuzeichnen und sichtbar zu machen ein wesentlicher Faktor, welcher die Nutzer*innen zum Tragen der Fitness-Uhr veranlasst und gleichzeitig motiviert. Durch ihre Eigenschaft des Aufzeichnens affordiert sie ihre Nutzer*innen zum ständigen Tragen.
Im direkten Zusammenhang zeigte sich eine weitere Auffälligkeit. So gaben beinahe alle Befragten an, dass sie die unvollständigen Bewegungsringe zu Handlungen in Form von Bewegung, Aktivität und Fitness aufriefen. Einige Interviewpartner*innen erzählten, dass sie im Falle nicht erfüllter Bewegungsziele beispielsweise abends noch einen Spaziergang machen, um das tägliche Aktivitätsziel zu erreichen.
„Also wie gesagt, wenn die Ringe nicht voll sind, trete ich in Aktion und mach sie noch voll.“
(P.H., Apple Watch)
“Klar, also ich schaue schon immer drauf und es ist tatsächlich so, wenn ich seh heute habe ich mich noch nicht genug bewegt, dann gehe ich sogar am Abend nochmal, damit die voll werden.“
(P.H., Apple Watch)
Gerade dieses „Jetzt aber noch ne Runde um den Block“-Verhalten zeigten in diesem Zusammenhang weitere Interviewpartner*innen:
„Also wenn ich jetzt sehe, dass ich halt irgendwie den ganzen Tag nur im Bett lag und nichts getan hab, dann hab ich halt auch auf der Uhr, seh ich dann so oh du hast gar nichts gemacht und dann motiviert es mich, jetzt halt nochmal eine halbe Stunde raus spazieren oder sowas. Dass man irgendwie wenigstens ein bisschen was gemacht hat.“
(A.S., Apple Watch)
Allerdings entwickelt die Fitness-Uhr nicht nur wie gerade beschrieben implizite Affordanzen, denn gerade durch explizite Aufforderungen, z.B. durch Push-Benachrichtigungen, schaffen es Fitness-Uhren wie die Apple Watch uns zu bestimmten Handlungen zu treiben. Eine durchaus bekannte Funktion, welche schon die einfachsten Fitness-Tracker besitzen, ist die Erinnerung zum Aufstehen. Diesem kleinen Reminder folgten alle Befragten ausnahmslos und entwickelten somit neue Praktiken.
„Oder so, man kriegt ja jede Stunde, also dass man auch einmal die Stunde sich bewegen, aufstehen soll. Das mache ich durch die Uhr, durch die Erinnerung wahrscheinlich auch aktiver und würde nicht jede Stunde einmal aufstehen und mich bewegen.“
(T.P., Apple Watch)
Auf die Frage, ob die Fitness-Uhr die Teilnehmer*innen zu neuen Gewohnheiten oder Praktiken auffordere, äußerte sich ein Interviewpartner wie folgt:
„Also neues Muster, was mir aufgefallen ist, ist ich habe seit einem halben Jahr oder so eingestellt, dass die Uhr mir nach einer Stunde, wenn ich sitze, sagt, ich soll aufstehen. Dann tue ich das auch. Das Muster hat sich auf jeden Fall bei mir eingeprägt.“
(A.K., Xiaomi Mi Band)
Von den Erfahrungen meiner teilnehmenden Beobachtung ausgehend, konnte ich recht bald feststellen, dass mich der Fitness-Tracker vor allem dazu motivierte kürzere Stecken, beispielweise zum nächsten Bahnhof oder Supermarkt, neuerdings vermehrt zu Fuß als mit Bus oder Bahn zurückzulegen. Natürlich immer vor dem Hintergrund, so meine Bewegungsziele zu erreichen oder noch besser zu übertreffen.
C. Cool down
Obwohl sich das Tragen von Fitness-Trackern für meine Interviewpartner*innen positiv auf die tägliche Aktivität ihrer Nutzer*innen ausübt und sie zu teils neuen Handlungen und Praktiken aufruft, gaben einige an, dass die Motivation Sport zu treiben oder sich zu bewegen nicht wesentlich vom Messgerät abhängt:
„Also ist es entweder da [die Motivation] oder ist es nicht da. Also das hat dann nichts irgendwie mit dem irgendwas zu tun, sondern entweder ich bin motiviert oder nicht. Also ich glaube nicht, dass sich da irgendwas verändert hat.“
(T.P., Apple Watch)
So werden Fitness-Tracker meist primär zur Kontrolle der Körperdaten genutzt. Der Aspekt des Kontrollierens und die Sichtbarkeit sportlicher Aktivitäten überwog für die Interviewparter*innen. Zudem gaben beinahe alle Selftracker*innen an, dass durch die Fitness-Uhr ihr Bewusstein bezüglich Körper und Bewegung zugenommen hätte. Meine Forschung konnte zeigen, dass Fitness-Tracker in jedem Fall ein Bewusstsein für Körper und Bewegung schaffen. Die Kontrolle und Sichtbarkeit der individuellen Leistungen motivierte die Nutzer*innen. Außerdem animierten die Fitness-Tracker ihre Nutzer*innen implizit und explizit zu Handlungen, indem sie beispielsweise mittels Push Benachrichtigungen zum Aufstehen anregen oder ihre Träger*innen durch das Erreichen täglicher Aktivitätsziele und der Verbesserung bestimmter Körperleistungen zufriedenstellen und motivieren.
Alle Beiträge des Lehrforschungsprojekts Beyond the Black Mirror
Lena Hirn:
Lena Hirn 1995 in Starnberg geboren, begann ihren akademischen Werdegang 2016 an der Technischen Hochschule Köln welche sie 2020 mit einem Bachelor in Mehrsprachiger Kommunikation verließ. Seit Oktober 2020 studiert sie Kulturanthropologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Aus einer bewegungs- und gesundheitsaffinen Familie stammend interessiert sich Lena Hirn seit ihrer Jugend für einen gesunden Lebensstil und ist selbst Trägerin einer Fitnessuhr. Das Vermessen und Protokollieren sämtlicher Körperdaten vollzieht sie bereits seit einigen Jahren, womit ihr Interesse dieser Forschung zu begründen ist.
Quellen:
Alle Feldforschungsmaterialien (erhoben von 25.12. 2020 bis 01.07.2021) wurden anonymisiert und liegen bei der Autorin.
- Duttweiler, Stephanie / Gugutzer, Robert / Passoth, Jan-Hendrik / Strübing, Jörg (2016) (Hg.): Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt? Bielefeld: transcript Verlag.
- Unternhährer Markus. (2016) Selbstquantifizierung als numerische Form der Selbstthematisierung. In: Leben nach Zahlen. (Hg) Duftweiler, Stephanie/ Gugutzer, Robert/ Passoth Jan-Hendrik/ Strübig Jörg. Bielefeld: transcript Verlag.
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