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„Mit Karte, bitte!“ – Wie kontaktloses Bezahlen in der Pandemie zur Alltagspraxis wurde

von | Jul 23, 2021

Wie bezahlst du, wenn du Einkaufen gehst? Schonmal darüber nachgedacht? Ich nicht, jedenfalls nicht bewusst. Ich mache es einfach: Portemonnaie zücken und bezahlen. Ist es also eine unterbewusste Routinehandlung? Mach‘ dir doch genau diese Praktik des Bezahlens einmal bewusst. Bei der Aktion des Bezahlens gibt es mit Hilfe von digitalen Technologien diverse weitere Möglichkeiten als mit Bargeld zu bezahlen. So geht es unter anderem mit der Bankkarte, dem Smartphone sowie mittlerweile auch der Smartwatch oder per Fingerabdruck. Was benutzt du? Und ist es immer das Gleiche? Mit all diesen Fragen habe ich mich in meiner Forschung beschäftigt und einige Menschen dazu befragt.

Wie unsichtbare Scheine fliegen

Abb. 1 & 2: kontaktlos Zahlen mit Smartphone & Karte
(Bild 1: Marco Verch, CC, via flickr; Bild 2: Bankenverband, CC, via flickr)

Kontaktloses Bezahlen, was bedeutet das genau? Das kontaktlose Bezahlen hat in Deutschland seit etwa vier Jahren deutlich zugenommen. Die bisher einsatzfähigen kontaktlosen Zahlungsmittel, wie z.B. Karte oder Smartphone, haben alle einen NFC-Chip (Near Field Communication) eingebaut, der durch das Erzeugen eines kleinen Magnetfelds Daten mit einem anderen kompatiblen Gerät austauscht (vgl. Telefónica Germany GmbH & Co. OHG). Beim Bezahlen – zum Beispiel an der Supermarktkasse – verbindet er sich mit dem Terminal (Kartenlesegerät) und tauscht den Geldbetrag, die Kartennummer und das Gültigkeitsdatum der Karte aus. Dadurch bildet der NFC-Chip eine digitale Schnittstelle (vgl. Johnson 1997), auch Interface genannt, zwischen Mensch und Maschine und ermöglicht es, ohne physischen Kontakt zu bezahlen. Die Karte oder das Smartphone werden dabei nur noch an den Terminal gehalten. Das Einstecken der Karte verbunden mit der PIN-Eingabe entfällt – zumindest in der Regel bei einem Betrag bis zu 25 Euro. Dieser digitale Prozess muss vom Terminal aktiviert werden, also schickt die Karte oder das Handy nicht dauerhaft einfach die Daten raus. Das Besondere hierbei ist, dass sich durch diese Schnittstelle auch die Mensch-Maschinen Interaktion und Beziehung ändert. Kurzum bedeutet kontaktloses Bezahlen also das Zahlen ohne Bargeld, ohne Unterschrift und ohne PIN (vgl. Sparkassen-Finanzportal GmbH).

Kontaktloses Bezahlen im Alltag

Viele Menschen in Deutschland und auch weltweit bezahlen inzwischen mit der kontaktlosen Methode des NFC-Chips. Vor Corona war diese Art des Bezahlens noch nicht so stark in Deutschland verbreitet, so wird hier die Beschleunigung des Prozesses in der Pandemie sichtbarer. Ich habe mich daher gefragt: Denken wir überhaupt darüber nach, wie wir bezahlen? Wie ist das kontaktlose Bezahlen in unseren Alltag integriert? Und was hat Corona damit zu tun? Dazu habe ich ethnographisch geforscht in Form von vier qualitativen Interviews und einer teilnehmenden Beobachtung. Hierbei hat sich gezeigt, dass sich besonders durch Corona in diesem Bereich sehr viel verändert hat. Durch das Virus Covid-19, und dessen Übertragung durch physischen Kontakt über Oberflächen und die Aerosole, sind viele Menschen zum kontaktlosen Bezahlen übergegangen, auch welche, die davon vorher nicht so überzeugt waren und eher am Bargeld festhielten. So auch Diana (25 Jahre, Finanzbeamtin & Studentin), die sagt:

Beim Reinstecken der Karte gibt man ja den Pin immer noch ein, mit den Fingern. Dann wäre ja auch wieder Kontakt da, den man bei Corona vermeiden wollte und deswegen halte ich die halt nur noch ran.

Abb. 3: Hinweisschild (Bild: Jane E. Gaser via Canva)

Es gab vor allem zu Beginn der Pandemie überall Hinweisschilder, dass bitte kontaktlos bezahlt werden solle, wenn möglich. „Es wurde schon ziemlich plakativ dafür Werbung gemacht“, meint Sabrina (24 Jahre, Studentin) dazu.

Diese Bezahlungshandlung wird zumeist im Supermarkt mit der Kassiererin oder dem Kassierer gemeinsam erlernt, indem zum Beispiel zu einem gesagt wird: „Sie müssen die Karte nicht einstecken. Sie können sie auch nur ranhalten.“ Die Kassierer*innen trainieren mit uns diese neue Praktik bzw. wir üben sie unter ihrer Anleitung ein. Diana hat auch bemerkt, dass die Kassierer*innen meistens scheinbar davon ausgehen, dass nur noch durch das Auflegen der Karte o. Ä. bezahlt wird, also dass es selbstverständlich geworden ist. Doch gleichzeitig zeigt sich in der folgenden Aussage der Zeitdruck, der durch das kontaktlose Bezahlen verringert werden soll:

„Die Supermarktfrau hat mich fast angemeckert, weil es halt ein bisschen länger dauert immer mit dem einstecken. Sie halt so‚ Sie brauchen die nicht einstecken. Sie können die auch drauflegen.“ (Diana)

So wurde es nicht nur Teil des Alltags, sondern auch im Alltag beigebracht. Dies empfindet auch Diana so:

Kam eher so durch die Praxis, glaub‘ ich, ein in die Bevölkerung und durch Corona. Aber ich glaube, davor haben halt auch viele das noch nicht benutzt.

Bei den meisten ist das kontaktlose Bezahlen keine hinterfragte oder bewusst entschiedene Praktik mehr, sondern es ist – zumindest bei meinen Interviewpartner*innen – schon, wie man so schön sagt, in Fleisch und Blut übergegangen. Beim Bezahlen sagt zum Beispiel Sabrina routinemäßig schon bevor der Betrag genannt wird, dass sie gerne mit Karte zahlen möchte, ohne darüber vorher nachzudenken. Laut der Kulturanthropologin Barbara Sieferle (2020) ist dies eine Praktik, die nicht von vornherein gegeben oder festgelegt ist, sondern prozesshaft und wiederholend angeeignet wird. Denn durch das Einüben wird diese Handlung in den Körper und das Unterbewusstsein eingeschrieben und normalisiert. Auf diese Art und Weise inkorporieren u. a. meine Interviewpartner*innen in diesem Fall die Praktik des Bezahlens durch kontaktlose Mittel in ihren Alltag und es entsteht eine neue Routine, eine Alltagspraktik. Dies zeigt sich ebenfalls an der Aussage von Diana:

Ich kannte das schon vor Corona, aber hab das da eher selten noch genutzt. Also jetzt wirklich durch Corona am meisten. Ja, da kam das wirklich ins Alltägliche.

Von bar zu kontaktlos – Zukunftsaussichten

Es wird deutlich, dass wir nach der Pandemie jetzt so geübt darin sind, kontaktlos zu bezahlen, dass es selbstverständlich und routiniert wird. Und vielleicht fragst du dich jetzt: Aber was ist denn mit dem Bargeld? Im Alltag meiner Interviewpartner*innen besteht die Tendenz, dass die Handlung, mit Bargeld zu bezahlen, nach und nach verschwindet. Das kontaktlose Bezahlen ersetzt dieses und wird so zur Alltagspraktik der Zukunft. Die Schnelligkeit und Bequemlichkeit dieser Zahlungsart überwiegen oftmals die Zweifel, wie Datendiebstahl oder Betrug. So auch Penelope, 42-jährige Bankkauffrau:

Weil ich dann nicht die Karte zücken muss und ich habe das Handy eh umhängen, weil ich dann natürlich so ne Kordel habe. Dann hat man ja schon zwei Wege gespart, sozusagen. Ja, statt in die Tasche reingreifen und die Karte aus dem Portemonnaie rausholen.“

Ohne Bargeld zu bezahlen, bringt aber teilweise auch das Gefühl hervor, keinen Überblick mehr zu haben über das, was tatsächlich ausgegeben wird. Daher kontrolliert Sabrina regelmäßig ihre Kontoauszüge. Beim Bäcker für kleinste Beträge nicht mit Bargeld zu bezahlen, fällt einigen meiner Interviewpartner*innen aber auch schwer, obwohl mittlerweile jegliche Beträge selbst dort anders bezahlt werden können.

Münzen und Wechselgeld werden auch als nicht hygienisch gesehen. Penelope hat Bargeld nur noch in Form eines „Notgroschens“ dabei, aber meistens nicht genug, um den Wocheneinkauf zu bezahlen. Meine Interviewpartner*innen berichten auch von einem Generationenunterschied. Die Eltern von Sabrina (24 Jahre) bezahlen immer in bar und so wurde das auch an die Tochter weitergegeben. Doch sobald sie ausgezogen war und vollkommen selbstständig sein musste, hat sie neue Dinge ausprobiert, wie zum Beispiel das kontaktlose Zahlen mit Karte. Diese Entwicklung zeigt sich auch in jedem meiner anderen Interviews.

Abb. 4: Bargeld 2030 (Bild: Jane E. Gaser via Canva)

Wenn in meinen durchgeführten Interviews „Ich zahle mit Karte“ gesagt wurde, war immer das kontaktlose Bezahlen gemeint. Während vor wenigen Jahren „mit Karte zahlen“ noch eine andere Praxis beschrieb, die das Einstecken und die PIN-Eingabe inkludierte, verschwindet dieses nun schnell aus dem Sprachgebrauch und Denken. Dies spricht auch dafür, dass das kontaktlose Bezahlen nicht nur eine momentane, sondern auch eine Zukunftspraktik sein und das Bargeld ganz verschwinden könnte.

Das kontaktlose Bezahlen ist eine eher unauffällige digitale und intuitive Praktik, die viele aber fast jeden Tag beim Einkaufen machen, ohne darüber nachzudenken. Die Corona-Pandemie lässt uns diese neue Praxis einüben und es entstehen neue Bezahlroutinen. Dies bedeutet, dass auch Praktiken des Mit-Karte-Zahlens mit physischem Kontakt/ PIN verschwinden, weil „mit Karte zahlen“ jetzt etwas anderes bedeutet. Wie digital dieser Prozess funktioniert, wird gar nicht sichtbar, da der digitale Prozess mit der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine eine immaterielle Interaktion wird. Durch diese Unsichtbarkeit wirkt es gar nicht so digital, da das visuell Sichtbare beim Bezahlen nicht unbedingt als digital wahrgenommen wird.

Ich denke gar nicht mehr drüber nach […]. Ich mache es einfach.“ (Sabrina)


Jane E. Gaser

studiert den Master Transkulturelle Studien/ Kulturanthropologie an der Universität Bonn. Zuvor absolvierte sie den Zwei-Fach-Bachelor mit Kultur- & Sozialanthropologie und Spanisch an der Universität Münster. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Museen und materielle Kultur sowie Alltagsforschung. Auf das Thema des kontaktlosen Bezahlens ist sie in ihrem eigenen Alltag an der Supermarktkasse gestoßen und fragte sich, wie andere Menschen das wahrnehmen und damit umgehen. Denn ihr Leben wird von Digitalität bestimmt, was sie bei anderen auch vermutet. Den Zusammenhang von kontaktlosem Bezahlen als digitale Praktik und dem alltäglichen Leben wollte sie erforschen.


Quellen

Alle Feldforschungsmaterialien wurden anonymisiert und liegen bei der Autorin.

  • Johnson, Steven (1997): Interface Culture. How New Technology Transforms the Way We Create and Communicate. San Francisco. S. 54-90.
  • Sieferle, Barbara (2020): Praxis. In: Timo Heimerdinger/ Markus Tauschek (Hg.): Kulturtheoretisch argumentieren. Ein Arbeitsbuch. Münster, New York. S. 408-432.
  • Sparkassen-Finanzportal GmbH: NFC macht bargeldloses Bezahlen noch einfacher (Zugriff: 30.05.2021).
  • Telefónica Germany GmbH & Co. OHG: Was ist NFC? (Zugriff: 29.05.2021).

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