DGV-Kommission Digitale Anthropologie
Internet, Mobiltelefonie, GPS und die mit ihnen verknüpften medialen Praxen sind selbstverständlicher Bestandteil des Alltags geworden. Innerhalb einer kulturgeschichtlich kurzen Zeitspanne haben sich diese Speicher-, Produktions-, Informations- und Kommunikationsmedien in die Alltage eingeschrieben, als Endgeräte vielfältigster Formate in die materielle Kultur, als Symbole und Signen in Deutungssysteme, als Interfaces und Netzwerke in Sozialität, und als in ihren Zukunftsaussichten offene Entwicklungen in unsere Imaginationen. Längst bestimmen sie in allen Reproduktions- und Kommunikationsbereichen die vorherrschenden Unterscheidungs-, Richtungs-, Handlungs- und Organisationslogiken, auch wenn immer neue Innovationen auf den Markt drängen und den Eindruck entstehen lassen, alles sei noch am Anfang. Dabei zeichnen sich mit und durch die digitalen Kommunikationstechnologien in allen Lebens- und Arbeitsbereichen tiefgreifende Veränderungen ab: Infosozialitäten, Communities of Projects, Icono-Clashes, Veränderte Arbeitsorganisationen, Clickworking, Crowdsourcing für Forschung und Entwicklung, Ubiquitous Computing und Cloudeconomy, Kognitiver Kapitalismus, Blended Learning, Computerspielzeug, etc.
Als eine Kommission der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft (DGEKW) will die Kommission „Digitale Anthropologie“ solche Dynamiken aus einer spezifisch kulturwissenschaftlichen/kulturanthropologischen Perspektive beleuchten. Die Kommission bündelt in diesem Sinne die im Fach laufenden Forschungen im Themenbreich, setzt sie in Beziehung zueinander und trägt dadurch insbesondere der wachsenden Zahl an Forschungen durch den wissenschaftlichen Nachwuchs Rechnung.
Die Aufgaben, die sich den kulturwissenschaftlich orientierten Fächern dabei stellen, sind weit gespannt. Neben die Kernkompetenz des Faches, die ethnographische Erforschung der Einbettung digitaler Medien im Alltag, treten zum Beispiel historische Forschungen zu Netzkulturen der 80er und 90er Jahre, Forschungen zur Erzeugung und Steuerung digitaler Plattformen, zur Digitalisierung sozialen Zusammenlebens, zur Digitalisierung von Arbeitsprozessen wie auch zur Digitalisierung zahlreicher Freizeit- und Vergnügungsaktivitäten. Es zeigt sich dabei immer wieder, dass klassische Themen und Konzepte des Faches, wie zum Beispiel die Idee des Amateurs, in der Erforschung digitaler Medieninfrastrukturen neu fruchtbar werden können, dass zugleich aber auch seine Zugänge und Methoden oft neu gewendet und ergänzt werden müssen. Denn die Veränderungen des Alltags durch Digitalisierungsprozesse betrifft auch die Forschungszugänge. Bei stetig steigendem Anteil der medienvermittelten Kommunikation, Interaktion und Wissensproduktion in den erforschten Alltagskontexten können diese mit ihren sozialen Formen und Praktiken vielfach nur dann angemessen begriffen werden, wenn die spezifischen Qualitäten, Funktionen und Bedeutungen der neuen medialen Kommunikationsformen Berücksichtigung finden.
Der gewählte Gegenstand bringt die Notwendigkeit verstärkter transdisziplinärer Zusammenarbeit mit sich und verlangt auch eine Offenheit für verschiedene medientheoretische Zugriffe – andererseits kann eine kulturwissenschaftliche Erforschung der Digitalisierungsprozesse im Alltag wichtige Beiträge im multidisziplinären Diskurs um die sogenannten ‚neuen Medien‘ leisten. Gerade die methodische Vielfalt und Flexibilität des Faches kann dabei verbindende Brücken bauen und ethnographische wie historisch orientierte Forschungen bereitstellen, die vielerorts noch immer vermisst werden.