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Digitale Datingpraxen?

von | Jun 1, 2012

Ein kleiner Einblick in ein in Kürze in Angriff genommenes Forschungs-Projekt.

Feld/ Thematischer Einstieg

Kaum eine Entwicklung in den letzten Jahren weist eine so derartig große Dynamik auf, wie die Verbreitung und Entwicklung sog. Smartphones. So besitzen mittlerweile allein in Deutschland über 50% der Unter-30-Jährigen ein ‚Mobiltelefon’ (sofern man hier überhaupt noch von Mobiltelefonen sprechen kann), welches in diese Kategorie eingeordnet wird(vgl.: http://www.bitkom.org/de/presse/8477_71854.aspx [29.Mai 2012]). Somit scheint gegeben, dass deren Gebrauch in den Alltag der Menschen eingegangen ist und sich als ein aus ethnologischer Perspektive erforschbares Feld eröffnet – davon abgesehen, dass es bisher kaum oder keine qualitativen Studien zu diesem Thema gibt, mit Ausnahme natürlich von Konsum- und Marktforschung vor allem quantitativen Charakters. Allerdings ist es nötig, das Feld einzugrenzen, auch in Hinblick auf die Durchführbarkeit.

 

Forschungsinteresse & Fragestellung

Um das oben skizzierte Feld des Gebrauchs von Smartphones im Rahmen eines studentischen Kleinprojektes im Modul ‚Forschendes Lernen’ erforschbar zu machen, ist es notwendig ebendieses einzugrenzen. Aus diesem Grund werde ich mich auf den Gebrauch spezifischer Apps[1] beschränken. Es handelt sich um die Anwendungen grindr sowie Planetromeo. Bei beiden Programmen handelt es sich um Dating-Portale für homo- und/oder bisexuelle Männer.[2] Dementsprechend bietet es sich an, nach den Aus- und Wechselwirkungen des Gebrauchs dieser Apps auf schwule Dating-Praxen zu fragen. Gleichwohl impliziert diese Fragestellung auch, dass es ein (möglicherweise) spezifisches Repertoire an Dating-Praxen gibt, die durch jene Anwendungen beeinflusst werden und ggf. Transformationsprozessen unterliegen.

Die Frage nach dem Gebrauch schließt ebenfalls Fragen nach dessen Zeitlichkeit und Räumlichkeit[3] ein – auch in Rückkopplung zum Ort dieser Forschung. Sie wird in Berlin durchgeführt werden. Um mich möglichen Antworten auf diese ans Feld gerichteten Fragen annähern zu können, erscheint es mir zunächst jedoch geboten, nach den Funktionsweisen der Apps und den Zugangsmöglichkeiten und –vorraussetzungen zu fragen.

 

Zugang & Methoden

Den Zugang zu diesem so zugeschnittenen Feld ermögliche ich mir technischerseits durch das in meinem Besitz befindliche Smartphone. Im Gebrauch der Apps werde ich meine bereits bei beiden Plattformen vorhandenen Profile entsprechend anpassen. Ganz konkret bedeutet dies, dass ich den textlichen Inhalt umgestalten werde. Ich werde mich klar und offen als Forschender positionieren und – je nach Möglichkeit der entsprechenden App – auch bereits einen Einblick in mein Forschungsprojekt geben.

Methodisch möchte ich mich vordergründig an Teilnehmender Beobachtung[4] (oder vielleicht eher: Beobachtender Teilnahme) und qualitativen Interviews mit Nutzern dieser Programme orientieren. Zusätzlich dazu möchte ich jedoch – im Sinne einer Methoden-Triangulation – einen offenen Fragenbogen konzipieren, den ich über das Internet (sowohl über die Standard-Webseite von Planetromeo als auch über facebook) bekannt machen und um Teilnahme bitten werde.

Für die Analyse werde ich induktiv vorgehen und mich an die Grounded Theory anlehnen. Dies bedeutet, das ich mit Ausnahme der These, dass sich evtl. ‚etablierte’ Dating-Praxen verändern (oder eben auch nicht), mit keinen weiteren Kategorisierungen ins Feld eintreten möchte.

 

Vorab-Reflexionen

Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mich mit dieser Forschungs-Idee in zwei sehr sensible Bereiche ethnologischer Forschungspraxis begebe. Zunächst einmal ist es der thematische Schwerpunkt ‚Dating-Praxen’, der direkt auf den Aspekt Sexualität verweist. Zwar wird deren Einfluss auf eine Forschung mittlerweile durchaus reflektiert, dennoch wird sie selten explizit (oder nie?) zum Thema gemacht – jedenfalls nicht im Sinne einer ausgelebten Alltags-Praxis.

Des weiteren verweisen Thema und Zugang sehr deutlich auf eine besondere Position meines Selbst als forschendes Subjekt. Aus diesem Grund wird die aus dieser Forschung entstehende Arbeit autoethnografische Elemente enthalten, d.h. ich werde (Selbst-)Reflexionen basierend auf meinen eigenen Erfahrungen sowohl als Ressource für empirisches Arbeiten als auch als Gegenstand der Analyse thematisieren.

Gerade bei gewähltem Feld und Thema erscheint mir dies auch zwangsläufig geboten, denn ich bin der Überzeugung, dass hier die Verbindung von Sexualität und Subjektivität systematisch in den Forschungsprozess einbezogen und reflektiert werden muss.


[1] Gemeint ist eine „zusätzliche Applikation (4), die auf bestimmte Mobiltelefone heruntergeladen werden kann“ (vgl.: http://www.duden.de/rechtschreibung/App [29.Mai 2012]).

[2] Diese Fokussierung ist KEIN Ausdruck von Androzentrismus, sondern spiegelt letztlich die Intentionen der Entwickler, deren Zielgruppen und die Selbstverortung des Forschenden im Feld.

[3] Zeitlichkeit meint hier die Einbindung der Nutzung in den Tagesablauf der Nutzer, während mit der Dimension der Räumlichkeit nicht nach dem ‚wann’ sondern nach dem ‚wo’ gefragt werden muss.

[4] Allen methodologischen Befürchtungen und Schwierigkeiten zum Trotz bin ich der Meinung dass es möglich ist auch bei solcherlei Feldern und Forschungsfragen von Teilnehmender Beobachtung zu sprechen. Grundlegung hierfür ist ein Raumverständnis, das an Michel deCerteau angelehnt ist und mit dem ich weniger von ‚virtuell’ bzw. ‚real’ sondern vielmehr von ‚online’ bzw. ‚offline’ sprechen will. Außerdem begreife ich Medien mit Marshall McLuhan als eine Art ‚Verlängerung des Körpers’.