Virtuelle Räume sind in aller Munde. Computerspiele locken mit neuen digitalen Welten. Soziale Medien eröffnen uns sogenannte Onlineräume. Technik-Dystopien verheißen einen Posthumanismus, in dem menschliche Praxis mit der von Maschinen verschwimmt. Aber ist „Raum“ nur eine Metapher für digitale Medien? Gibt es einen Raum hinter dem Bildschirm, dem Black Mirror? Und wie kann man diese Cyber-Spaces kulturanthropologisch erforschen?
Eine Gruppe Studierender im Masterstudiengang Transkulturelle Studien/Kulturanthropologie widmete sich diesen Fragen von November 2020 bis Juli 2021. Im Lehrforschungsprojekt „Beyond the Black Mirror. Kulturanalyse digitaler Welten“ erforschten die Studierenden unterschiedliche digitale Alltagspraktiken und präsentieren hier in Blogbeiträgen Ausschnitte dieser Forschungen.
Dabei war das Projekt in mehrerlei Hinsicht von Digitalitäten geprägt. Inhaltlich widmeten sich die Forschungsprojekte Online-Praktiken in lokal situierten Kontexten und betrachteten kulturelle Konstruktionen von und durch digitale Technologien. Die Forschungen folgten den Verbindungen von Akteur*innen, Servern und Programmen und fragten danach: Wie viel Kultur steckt eigentlich in einem Algorithmus? Wie laden Interfaces zu spezifischen Alltagspraktiken ein? Wie manifestieren sich Machtverhältnisse in digitalen Technologien? Und welche Potentiale bieten Online-Räume für die Aneignung durch Akteur*innen?
Gleichzeitig fand dieses Projekt in einem Jahr bestimmt von Covid19-Maßnahmen statt, wodurch auch unsere Forschungs-, Lern- und Diskussionspraktiken in digitale Räume verlagert wurden (Marion Näser-Lather diskutierte bereits die Auswirkungen der Verlagerung der Lehre in Online-Räume auf diesem Blog). Ein Jahr lang haben wir intensiv zusammengearbeitet. Wir sind uns mit und durch Zoom, Discord, Cryptpads und diversen digitalen Plattformen der Universität begegnet. Wir kennen einander durch Videos, Chats und das gegenseitige Lesen von Texten. Bis zuletzt haben wir uns jedoch nie in persona, nie in Universitätsgebäuden und nie in körperlicher Ko-Präsenz ohne digitale Vermittler getroffen.
Auch die ethnografischen Forschungen waren von den Maßnahmen betroffen. Der Anspruch unserer Disziplin, digitale Praktiken immer in ihrer Verwobenheit mit situativen Offline-Kontexten zu betrachten, konnte nicht auf die gleiche Weise wie sonst umgesetzt werden. Der Kontakt mit Forschungspartner*innen war in diesem Lehrforschungsprojekt großteils auf Online-Kommunikation begrenzt. Das methodische Vorgehen musste entsprechend der ständig wechselnden Vorgaben der Covid19-Maßnahmen angepasst werden und fokussierte sich noch stärker als sonst auf digitalen Austausch.
Diese besonderen Umstände spiegeln sich auch in vielen der Forschungsprojekte und Fragestellungen der Studierenden wider. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen transformierte viele digitale Praktiken und führte zu Bedeutungsverschiebungen. Dabei folgten die Forschungen einer Fülle unterschiedlicher Spuren von Digitalisierung in unserem Alltag. Von digitalen Spielen bis digitaler Landwirtschaft wurden unterschiedliche Bereiche des Lebens betrachtet, in denen unsere Praktiken mit Digitalitäten verwoben sind.
Grafische Visualisierungen und ihre beinahe magische Beweiskraft stehen im Beitrag Three rings. Onegoal. – Wie uns Fitness Tracker zum Handeln auffordern von Lena Hirn im Zentrum, wenn sie die Beziehung von Nutzer*innen zu ihren Fitness-Uhren beschreibt und zeigt wie die Software-Gestaltung explizit und implizit zu bestimmten Handlungen auffordert.
Im Video-Beitrag „Houston, wir haben ein Problem!“ – Das Gaming-Phänomen Among Us: Im Weltall hört dich niemand lügen von Eleonora Grammatikou wird betrachtet, wie der Aufstieg des Computerspiels Among Us mit der pandemischen Situation in Zusammenhang steht und wie die „Krisen-Situationen“ des Spiels mit dem krisenhaften Alltag der Spieler*innen verknüpft sind.
Im Audio-Beitrag Algorithmus der Liebe. Online-Dating-Praktiken im Alltag erzählt Amanda Umutesi Negele von der Dating-App Bumble und wie Praktiken des „Datens“ mit der Gestaltung und dem Interface der App in Beziehung stehen. Zwischen Gamification und der pandemische Situation sind Vorstellungen von Liebe und Intimität hier auch algorithmisch geprägt.
Im Beitrag „Seht ihr mich? Ich höre euch aber!“ Virtuelle kollegiale Beziehungen im Home-Office: Wie Slack als Interface Kolleg*innen verbindet zeigt Lena Wolff wie eine Online-Plattform dazu genutzt wird auch im Home-Office Kollegialität herzustellen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl und den persönlichen Austausch zwischen Mitarbeiter* innen zu fördern.
Wie man „Frieden spielen“ kann wird im Beitrag Friedensförderung durch digitale Spiele: Repräsentationen von Idealen in Serious Games untersucht. Die Autorinnen zeigen wie diese großen Ideale gleichzeitig einen orientalistischen Blick auf die „Anderen“ werfen und eurozentrische Vorstellungen von richtigem Handeln vermittelt werden.
In einem interaktiven Spielformat entführt Antonia Helesic die Leser*innen in Fantasy-Spielewelten von Pen-and-Paper-Rollenspiele ohne Pen and Paper im Online-Raum. Diese analogen Formate wurden während der Pandemie zunehmend in Online-Räume verlagert und versuchen Immersion, Atmosphäre und Involvement in digital gestützter Interaktionen zu ermöglichen.
In Qualitätsverbesserung oder Filterblasen? – Eine ethnografische Untersuchung zu Suchmaschinenpersonalisierung betrachtet Lina Harich wie Suchmaschinenalgorithmen in fast unsichtbaren Prozessen unseren Zugang zum Internet beeinflussen und welche Versprechen und Ängste mit dieser Personalisierung einhergehen.
Wie Museen mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen zeigt Kristin Schrimpf im Beitrag Was ein Roboter im Museum sucht? Vom Einsatz digitaler Technologien zwischen analogen Museumsobjekten und Coronaviren. Die Verknüpfung von materiellen und immateriellen digitalen Ausstellungsobjekten transformierte sich durch die Schließung der Museen in der Pandemie.
Der Audio-Beitrag (Nie) zu Alt fürs Internet?- Altersbilder und Konstruktionen in digitalen Praxen von Jenny Janßen gibt Einblick in die digitalen Praktiken älterer Menschen und zeigt welche Strategien diese Akteur*innen entwickeln um ihren alltäglichen Umgang mit digitaler Technik entsprechend täglicher Anforderungen und eigener Bedürfnisse zu gestalten.
.In Bewertungen bei Google, TripAdvisor, Lieferando und Co., wer liest sie nicht? – Zum Einfluss von Online-Bewertungsplattformen auf Kölner Gastronom*innen untersucht Theresa Lenz wie unterschiedliche Plattform-Architekturen digitale Bewertungspraktiken strukturieren und wie Gastronom*innen damit umgehen.
Im Beitrag „Diese Daten, die seh ich auch so, oder ich hab’s im Gefühl“ – Perspektiven der Melkrobotik auf Biobetrieben folgt Charlotte Mehlhart den Assemblagen von Menschen, Tieren und Maschinen in landwirtschaftlichen Betrieben und zeigt wie Technologien und Digitalität die alltägliche Arbeit aber auch die Beziehungen zwischen diesen Akteur*innen verändern
Dass digitale Plattformen auch lokal angebunden werden zeigt der Beitrag Nachbarschaft als sozialer Kitt – Konstituierung von Nachbarschaft durch digitale Plattformen von Milena Otte. Die Plattformen konstituieren Nachbarschaft wechselweise im Zusammenspiel von Online- und Offline-Angeboten, zwischen nachbarschaftlicher Verbindlichkeit und Anonymität.
In „Mit Karte, bitte!“ – wie kontaktloses Bezahlen in der Pandemie zur Alltagspraxis wurde zeigt Jane Gaser wie in der Pandemie neue Praktiken des Bezahlen eingeführt und angeleitet wurden und wie diese von Konsument*innen zunehmend in ihren Alltag integriert und inkorporiert wurden und sich zu neuen Selbstverständlichkeiten entwickelten.
Zwischen Befürchtungen schwindender Privatheit und Praktikabilität im Alltag bewegt sich auch der Beitrag Der Sprachassistent oder – wie ich mir eine Wanze kaufte von Leonie Scholten. Sie zeigt, wie das Zusammenspiel von technische Affordanzen und inkorporiertem Medienwissen zu spannungsgeladenen Strategien des „richtigen“ Umgangs mit Technik führen.
Der Beitrag Girl Games: Vernetzung und Stärkung junger Frauen in der Spielindustrie von Renata De Freitas Martins folgte einem internationalen Spiele-Entwicklungs-Projekt in dem binäre Geschlechterrepräsentationen aufgebrochen werden. Die Hauptrollen in den Spielen der jungen Frauen übernehmen Sternchen, Flammen und Roboter.
Im Glossar erklären die Studierenden Begriffe der Blogbeiträge des Lehrforschungsprojektes „Beyond the Black Mirror“ genauer. Was meinen wir, wenn wir von Affordanzen sprechen? Was sind eigentlich Cookies? Sind Interface und Schnittstelle dasselbe?
Lehrforschungsprojekt 2020/21
Beyond the Black Mirror – Kulturanalyse digitaler Welten
Masterstudiengang: Transkulturelle Studien/Kulturanthropologie
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für Archäologie und Kulturanthropologie
Abteilung Kulturanthroplogie/Volkskunde Bonn
Leitung: Ruth Dorothea Eggel
Mitarbeit: Natascha Geis
Redaktionsteam: Eleonora Grammatikou, Lina Harich, Antonia Helesic, Melanie Maruschewski
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